Man spürt deutlich, dass die Ersten bereits schon wach sind. Doch vor sechs traut sich niemand aufzustehen. Blöderweise liege ich auch noch fast ganz hinten am Ende des schmalen, mit Rucksäcken blockierten, Ganges. Ich bahne mir meinen Weg nach draußen und kurz vor acht geht’s dann auch endlich los. Wir brechen mit leichtem Gepäck in Richtung Kreuzspitze (3455m) auf. Das Wetter hat sich im Gegensatz zum Vortag deutlich gebessert.
Nach der ersten Geländestufe wird es felsig und wir passieren einen kleinen See. In nicht ganz drei Stunden erreichen wir den Gipfel und somit vermutlich den höchsten Punkt unserer Alpenüberquerung. Die Sonne scheint, der Himmel ist blau und der Blick ist gigantisch. Auf der anderen Talseite ist der Similaun (3599m) sowie in dessen unmittelbarer Nähe die Ötzifundstelle. Weiterhin ist auf dem Joch die Similaunhütte erkennbar.
Doch es geht ein eiskalter Wind, daher brechen wir nach ein paar Fotos bald wieder auf und machen uns auf den Rückweg. Insgesamt hat uns der Abstecher vier einhalb Stunden gekostet.
Auf der Hütte sammeln wir unser Gepäck ein und genehmigen uns eine Portion des Bergsteigeressens. Laut Bedienung sollten wir für den Überstieg des Saykogels (3355m) zur Schöne Aussicht Hütte rund acht Stunden einplanen. In Anbetracht Elisabeths inzwischen stark mitgenommenen allgemeinen Zustandes wäre es vermutlich gescheiter am morgigen Tag weiter zu gehen. Machen wir aber nicht. Beim anschließenden Aufstieg können wir einen Geier am Himmel direkt über uns beobachten. Kein gutes Vorzeichen.
Der Gipfel, beziehungsweise der ganze Berg, ist nur ein großer Haufen loser Steine. Unwissentlich queren wir den Gipfel seitlich und bekommen nicht einmal ein Kreuz zu sehen. Gott sei Dank haben wir die Kreuzspitze schon in der Tasche.
Der Grat auf der Rückseite offenbart einen super Blick auf das Tal und die Gletscher.
Ansonsten mutet der Saykogel einem im Sterben liegenden Berg an, der zusehends auseinanderfällt. Elisabeth ebenso. Bergab, durch das Geröll, machen ihre Beine, genauer genommen ihre Knie, immer mehr Probleme. Trotz Bandage und Voltaren. Inzwischen geht sie sogar freiwillig voraus. Das kommt weiß Gott nicht oft vor. Wir verlieren zunehmend an Tempo. Heute melden wir uns ausnahmsweise auch mal auf der Hütte an – es könnte später werden.
Im Tal am Gletscherbach angekommen haben wir laut Beschilderung noch zwei Stunden Aufstieg zur Bella Vista Hütte oder aber eine Stunde rüber zum Hochjochhospiz. Das Hospiz würde aber einen weiteren leichten Abstieg von uns abverlangen, so entscheiden wir uns am eigentlichen Plan festzuhalten und steigen am Bach entlang zur Schöne Aussicht Hütte auf.
Dies fällt auch deutlich leichter und so erreichen wir bald unsere Unterkunft. Aufgrund unseres späten Eintreffens gibt es nur noch Halbpension: Krautstrudel mit Kümmelsauce, Frittatensuppe, Lammrippchen mit Rosenkohl und Kartoffeln und als Nachspeise Topfenstrudel. Kann man machen. Willkommen in Südtirol.