Tjäktjastugan  – Gautelishytta 46km

Der Versuch, den Sturm auf der Tjäktjastugan auszusitzen, schlug kläglich fehl. Der Wind des Vortages weht am Morgen noch mit unverminderter Stärke. Hinzu kommt, dass erneut Regen eingesetzt hat.

Nutzt nichts, mit Gegenwind geht es das Tal hinauf zum Tjäktjapass. Auf dem 1150 Meter hohen Sattel liegt eine einfache Schutzhütte und zudem der höchste Punkt des Kungsleden. Für mitteleuropäische Verhältnisse keine Höhe, doch hier, weit oberhalb des Polarkreises, habe ich die Baumgrenze schon lange hinter mir gelassen.

Kungsleden Alisvággi
Blick zurück in das Alisvággi auf dem Kungsleden
Wintermarkierung Schweden Kungsleden Tjäktjapass
Wintermarkierung am Tjäktjapass

Während des Abstiegs zur Sälka Fjällstugan zeigt sich das Wetter von seiner abwechslungsreichen Seite. Immer wieder werfen die spärlichen Sonnenstrahlen Regenbögen in das Tal.

Tjäktjajakka Kungsleden
Tal des Tjäktja auf dem Kungsleden
Tjäktjajakka Kungsleden
Der mäandrierende Tjäktjajakka

Die größeren schwedischen Hütten, vor allem die am Kungsleden, haben oft einen kleinen Laden mit rudimentärem Sortiment. Erstmals nutze ich dieses Angebot und kaufe in der Butik ein. Eine Dose Chili con Carne und etwas Süßes zum Nachtisch begleiten mich zur Kasse.

Nachdem Nordkalott- und Kungsleden die letzten Tage seit Abisko auf denselben Pfaden verliefen, gehen sie hinter der Sälkastugorn wieder getrennte Wege. Ich muss mich nun entscheiden, ob ich in Schweden bleibe und dem Königsweg folge oder den Abzweig in Richtung der einsamen norwegischen Berge nehme wie ich es ursprünglich plante. Während ich mir die Dose mit dem Fertiggericht auf dem Gaskocher der Hütte erhitze, unterhalte ich mich mit einem Ortskundigen. Frischen Schneefall, soviel kann er mir sagen, hat es noch keinen in den Bergen gegeben. So spät im Jahr rät er mir trotzdem ab den Schlenker um den Akkajaure zu gehen. Spätestens in ein paar Tagen schließen auch die letzten schwedischen Hütten, sagt er, und ich bin im Fjäll auf mich selbst gestellt. Soweit denke ich noch gar nicht, denn Schweden würde ich erst in rund einer Woche wieder erreichen.

Wenige hundert Meter nach der Hütte ist es dann soweit: Es regnet, alles ist grau und ich schreite in ein Seitental Richtung Norwegen. Ich wollte den Nordkalottleden wandern und bei dem Plan bleibe ich.

Tjäktjajakka Nordkalottleden
Ein letztes Mal überquere ich den Tjäktjajakka…
Cuhcavággi Nordkalottleden
…und laufe nun durch das Cuhcavággi

Sogleich verliert sich der Pfad in den feuchten Hangwiesen, querfeldein stapfe ich über den nassen Grund. Das kostet mich Zeit und Kraft, gehört jedoch dazu, denn gegen die Rennstrecke Kungsleden habe ich mich schließlich aktiv entschieden.

Es ist bereits spät als ich den Abzweig zur Hukejaure Fjällstuga passiere. Ein Lächeln huscht mir über das Gesicht, die unerwartete Willenskraft erfüllt mich ein wenig mit Stolz. Es freut mich, dass ich nicht die bequeme Option Kungsleden gewählt oder den Weg Richtung Hukejaure eingeschlagen habe. Dort wieder auf den richtigen Pfad zurück zu kehren wäre mir schwer gefallen, das weiß ich. Vermutlich hätte ich mich am morgigen Tag an Bord der Fähre über den See befunden.

Wie so oft in den letzten Wochen hat sich in meinem Kopf ein Ziel für den Abend eingebrannt und dieses gilt es nun zu erreichen. Schmerzen am Morgen meist noch die Gebeine, laufe ich mich abends in Trance. Gelegentlich ein kurzer Blick in die Landschaft, dann tastet der Blick wieder stur den Boden ab. Der Pfad zu den Füßen und links und rechts huscht die Welt vorbei. Nicht viel nachdenken, nur einen Fuß vor den anderen.

Der Weg zieht sich und es wird bereits dunkel. Die Berglandschaft um mich herum ist mit Felsen und Geröll überzogen, Ton in Ton mit dem grauen Himmel liegt sie da. Immer wieder passiere ich größere Seen. Die letzten Kilometer zur Gautelishytta stolpere ich im Schein der Taschenlampe vor mich hin. Abenteuerlich gestaltet sich die Wegfindung im Dunkel der Nacht. Würde ich so nicht nochmal machen.

Gautelisvatnet Nordkalottleden

Als ich nach einer gefühlten Ewigkeit endlich die Hütte erspähe, stelle ich überrascht fest, dass dort Licht brennt. Die zwei Jäger sind ebenso erstaunt, denn so spät im Jahr ist hier selten jemand unterwegs. Sie haben sich hier zur Schneehuhnjagd einquartiert, Erfolg hatten sie jedoch noch keinen. Den einzigen Vogel, welchen sie mir stolz zeigen, hat der dritte Mann im Bunde geschossen. Dieser schläft bereits seinen Rausch aus. Man lädt mich auf ein Bier ein, doch dank Cognac und Vodka dreht sich das Gespräch immer nur im Kreis, so dass ich mich bald zurück ziehe.

Gautelishytta – Sitashytta 37km

Aus dem versprochenen Frühstück mit Ei und Speck wird nichts, denn als ich um halb Neun die Hütte verlasse schlafen noch alle tief und fest. Auf den ersten Kilometern an diesem Morgen geht es weiter an dem Stausee Gautelisvatnet entlang, dessen Ausläufer mich schon am gestrigen Abend begleitet haben.

Gauteslisvatnet Nordkalottleden Gauteslisvatnet Nordkalottleden   Gauteslisvatnet Nordkalottleden

Hinter dem See geht es ein Stück über eine Schotterpiste und anschließend bei Niesel durch Geröll weglos aufwärts. Trotz der Temperaturen nahe des Gefrierpunktes komme ich mit steigender Höhe gehörig ins Schwitzen.

Kjorisvatnet Nordkalottleden   

Als ich mich an der Skoaddejávrihytta aus den Regenklamotten pelle und mir trockene Socken anziehe, muss ich feststellen, dass ich kein Wasser zum Teekochen habe. Somit esse ich nur kurz etwas und schlüpfe wieder in die nasse Kleidung um weiter zu gehen. Wenn ich bis zum Rárkajávri nur rund anderthalb Stunden brauchen würde, möchte ich bis zur Sitashytta durchgehen, ansonsten dort am See mein Lager aufschlagen. So mein Plan um eine erneute Nachtwanderung zu vermeiden.

Bierká Nordkalottleden Bierká Nordkalottleden Sitasjaure

Der Abstieg zum See ist hart. Steil geht es durch ein Blockfeld bergab. Die Waden brennen, immer wieder rutsche ich aus.

Deutlich länger als gedacht habe ich zum See gebraucht, doch trotz Strommasten und Schotterpiste ist das Tal landschaftlich reizvoll. Auch das Wetter hat sich gebessert und so stelle ich mein Zelt am Talboden auf.

Doch der Fluss auf meiner Karte entpuppt sich als ein ausgetrocknetes Bachbett und die Teiche in der Nähe meines Lagers sind nur braune Schilftümpel. Bis zur Sitashytta verläuft die Route auf der Straße, welche die zur Stromgewinnung genutzten Seen verbindet. Auf dem Fahrweg sollten die Kilometer schnell abgespult sein.

Während meines Spurts auf der Piste kann ich voller Begeisterung ganz in meiner Nähe einen Adler entdecken, an welchen ich mich anpirsche. Als ich realisiere, dass ich inmitten von Rentierinnereien und -köpfen stehe, bin ich froh nicht hier mein Lager aufgebaut zu haben und sehe zu, dass ich Distanz zwischen mich und die Schlachtabfälle bekomme.

Muohkiris Nordkalottleden

Abermals laufe ich bis spät in die Dämmerung hinein. Für die rund dreizehn Kilometer. zur am Sitasjaure gelegenen Hütte, benötige ich drei Stunden.

Muohkiris NordkalottledenKjardavatnet Nordkalottleden

Sitasjaure Nordkalottleden
Der Sitasjaure zur blauen Stunde
Sitashytta – Paurohytta 22km

Für gewöhnlich benötige ich am Morgen etwa eine Stunde bis ich bereit zum Abmarsch bin. Meist stehe ich gegen sieben Uhr auf, verzichte dabei jedoch auf einen Wecker, so kann es auch später oder aber deutlich früher werden. Die Entscheidung, wieviel Schlaf mein Körper benötigt, gestehe ich ihm zu. Rund 200g Müsli und einen halben Liter Tee gibt es dann zum Frühstück. Nach Körperpflege und Toilettengang muss noch das Zelt abgebaut oder gegebenenfalls die Hütte geputzt und die Ausrüstung im Rucksack verstaut werden. Wenn ich dann etwas vermisse, wie an diesem Morgen meine Handschuhe, kann der Aufbruch sich nochmal deutlich verzögern. So ist es bereits neun Uhr als ich am Ufer des Sitasjaure entlang marschiere.

Sitashytta Sitajaure Nordkalottleden
Am anderen Seeufer, in 32 Kilometer Entfernung liegt die schwedische Sitasjaurestuga. Nichtmal ein Quadratkilometer des Sitasjaure liegt auf norwegischen Territorium

Hinter dem See gilt es sogleich, wieder an Höhe zu gewinnen. Das Wetter ist stürmisch aber trocken und es dauert nicht lange bis mir wieder warm wird. Wie bereits am Vortag sind heute viele Schneefelder zu überqueren oder zu umgehen. Sorgfältig muss jedes Mal die Tragfähigkeit beurteilt und das Risiko abgewogen werden. Starke Ausspülungen am Fuß des Feldes, Risse oder gar Löcher geben erste Anhaltspunkte. Auch das Geräuschbild gibt allerlei Informationen über den Zustand des Schneefelds preis. Doch zumeist lassen sie sich aufgrund der doch eher geringen Größe problemlos umgehen.

Der Abstieg in das schmale langezogen Roanasdalen bringt mich herunter zum tiefblauen, im Sonnenlicht türkisfarben leuchtenden, Baugevatnet. Wie das Tal bei schönem Wetter oder gar in der Abendsonne aussehen mag kann ich mir nur ausmalen.

Roanasdalen Baugevatnet Nordkalottleden Roanasdalen Baugevatnet Nordkalottleden

Am Ablauf des Sees passiere ich eine kleine Hütte, an welcher ein Mitarbeiter des DNT sitzt. Von meinem Gedankenspiel, in wenigen Kilometern über eine Landzunge zwischen zwei Seen abzukürzen und gar nicht mehr bis zur Paurohytta vorzugehen, rät er mir ab. Zu stark sei die Strömung des Flusses dort. Wenn der Wind zu stark sei, um an der Paurohytta mit dem Ruderboot über den See zu queren, dann gäbe es weiter westlich eine Stelle an der man den See furten könnte.

Die Landschaft wird grüner, hügeliger und lieblicher. Nach den grauen, weiß durchsetzten, Hochgebirgswelten der letzten Tage scheint diese Landschaft direkt aus den Werken von Tolkien zu entspringen.

Unvermittelt taucht der Talkessel des Bovrojávri vor mir auf. Die Berge um den See herum sind schneebedeckt und mir gegenüber liegt der gigantische Gihccejiekna Gletscher, dessen Schmelzwasser die Seenplatte speist.

Bovrojávri Nordkalottleden Gihccejiekna Gletscher Bovrojavri Nordkalottleden

Obwohl ich gerne die Seequerung hinter mich bringen und am anderen Ufer auf die Suche nach einem Lagerplatz gehen würde, mache ich es mir erstmal auf der Paurohytta gemütlich. Durchaus in dem Wissen, dass dies einer Entscheidung gleichkommt und den Tag für heute abschließt. Die schlichten Holzhütten im norwegischen Norden, ohne Strom, fließend Wasser und Heizung, haben es mir angetan. Den Holzofen anzufeuern, einen Tee zu kochen und vom Sofa den Blick über die raue Landschaft schweifen zu lassen gefällt mir sehr.

So entdecke ich auch die Person, die sich über die Landzunge der Hütte nähert. Die Norwegerin kommt aus Richtung der Røysvatnhytta, kommt mir also entgegen, und hat soeben die Seeenge mit dem Boot überquert. Aufgrund des Windes hat sie gut zu tun gehabt, obwohl sie im Rudern geübt ist. Das kann ich von mir so nicht behaupten. Genau genommen kann ich mich nicht einmal mehr entsinnen, wann ich das letzte Mal in einem Ruderboot gesessen habe. Rosige Aussichten.

Bovrojávri Nordkalottleden
Nach den Bildern glaubt mir keiner mehr…
Bovrojávri Nordkalottleden
…das es kalt, nass und stürmisch war
Paurohytta – Røysvatn 29km

Etwa auf Höhe der Paurohytta ragen zwei Landzungen soweit in den See hinein, dass die beiden Ufer von nur wenigen Metern Wasser getrennt werden. Im Normalfall steht an jedem Ufer je ein Ruderboot, das heißt: Man überquert den See, holt das andere Boot ab und bringt dieses an das Ufer von dem man kommt. Am Ende steht für den nächsten Wanderer wieder auf jeder Seite ein Boot zur Verfügung.

Hat man Glück, überquert man den See somit dreimal und geht seines Weges. Hat man Pech, dann stehen beide Boote an der anderen Uferseite, schwimmen Kopfüber auf dem See oder sind von Schneefeldern verdeckt.

Das führt dazu, dass sich im Hüttenbuch der Paurohytta alles um diese Seequerung dreht. Viele Wanderer haben hier ein unfreiwilliges Bad nehmen müssen um an das andere Ufer zu kommen oder einen extra Tagesmarsch einlegt um den See zu umrunden.

Gihccejiekna Gletscher Bovrojávri Nordkalottleden

Von der Norwegerin, die sich mit mir die Hütte teilte, weiß ich, dass beide Boote an ihrer Stelle liegen und auch das Wetter spielt mit. Es herrscht absolute Flaute an diesem Morgen.

Bovrojávri Ruderboot Nordkalottleden Paurohytta

Dies kommt mir gelegen, denn ich stelle mich tatsächlich sehr ungelenk an und benötige eine Weile bis alles wieder an seinem Platz ist.

Das nächste große Thema im Hüttenbuch ist die Wegführung bis zur Roysvatnethytta, denn obwohl der Nordkalottleden ein markierter Wanderweg ist hat man sich auf dem kommenden Wegstück dafür entschieden diese Markierungen eher spärlich zu säen. Doch der Blick auf die Karte zeigt, dass der Weg weitestgehend immer um die Berge Noajetjahka und Skuogetjahkka herum führt. Im leichten Auf und ab immer am Seeufer entlang und die Aufregung nicht wert.

Bovrojávri

Die, wie ich finde, landschaftlich reizvolle aber wenig spektakuläre Etappe lässt sich gut laufen. Es folgt später eine breite Flussquerung und weitere Seen.

Skuogejávrre Nordkalottleden

Skuogejávrre Nordkalottleden Skuogetjahkka

Viele Wanderer nehmen sich aus Skandinavien ein vielerorts herumliegendes Rentiergeweih, welches sie sich auf den Rucksack schnallen, als Souvenir mit. Meinem leichtem Gepäck angepasst, ziehe ich es vor eine Adlerfeder einzupacken.

Adlerfeder

Erst zum Ende des Tages geht es durch ein Tal hinauf wieder in kargere Regionen. Die grünen Wiesen weichen Geröllhalden und auch die Schneefelder sind wieder Teil des Landschaftsbildes.

Skuogetjahkka Nordkalottleden Skuogetjahkka Svártijavrre Nordkalottleden

Inmitten dieser weiß gefleckten Landschaft, in Sichtweite des Bjöntoppen (Bärenrücken) genannten Berges, liegt die Røysvatnhytta, in welcher ich es mir bequem mache. In der Lillehytta, der kleineren und älteren Hütte neben dem Haupthaus, stammt das Hüttenbuch noch aus dem Jahre 1994 was mir total sympathisch ist. Auch den Eintrag von Carsten Jost aus dem Jahre 2009 kann ich entdecken.

Für die letzten neunundzwanzig Kilometer habe ich ganze zehn Stunden gebraucht. Das weglose Zickzack durch die Felsen hat seinen Tribut gefordert. Meine Zeltpläne verwerfe ich schnell und mache es mir lieber in der Sauna bequem.

Røysvatnhytta Nordkalottleden
Links im Bild die Røysvatnhytta
Røysvatnhytta- Rávddajávrre 47km

Immer wieder scheuche ich an diesem frühen Morgen Schneehühner auf. Allem Anschein nach nutzen sie die ausgehöhlten Kanten der Schneefelder als Schlafplatz und versuchen dann, in dieser nahezu vegetationslosen Umgebung, zu Fuß zu flüchten. Ich kann nur fassungslos dastehen und dem Treiben zuschauen. Deren Glück, dass ich keine Gefahr für sie darstelle.

Weit liegt die Landschaft vor mir und kontinuierlich verliere ich an Höhe.

Mehrere breite Flüsse sind heute zu furten, doch sonst hält der Tag keine Schwierigkeiten parat. Im namenlosen Tal, welches ich am Fuße des Skájdjevárre durchschreite, verleitet mich das hervorragende Wetter dazu eine Pause einzulegen, nicht um etwas zu essen oder zu trinken wie üblich, sondern schlicht der Pause wegen.

Ab hier wandere ich mit steter Sicht auf die herbstliche Flusslandschaft des Valldajahka, dessen Verlauf ich bis Vaisaluokta folgen werde.

Nachdem der Fluss durchwatet ist, stehe ich am Fuße des markanten gut 1500 Meter hohen Rautaive und habe den westlichsten Punkt meiner Wanderung erreicht. Von hier geht es nun dreißig Kilometer durch Birken und flache Strauchvegetation immer Richtung Osten in das kleine Samidorf Vaisaluokta.

 

Die Hälfte davon schaffe ich noch, dann baue ich das Zelt etwas oberhalb des Rávddajávrre auf. Mit Blick auf den See koche ich mir am Lagerfeuer noch einige Tassen Tee, doch trotzdem dauert es eine Weile bis mich meine Erkältung Schlaf finden lässt.