Im Grunde genommen sind wir selbst schuld. Ein wenig Recherche hätte uns diesen Teil vermutlich erspart. Aber damit haben wir einfach nicht gerechnet.
Der Sentiero Antonioli, ein ausgewiesener Wanderweg, der über hundert Kilometer vom Adamellogebirge bis zum Gardasee verläuft, führt uns heute an einer Straße entlang. Nicht stark befahren und auch nicht landschaftlich gänzlich unattraktiv, aber nachdem wir auf den letzten 500 Kilometern jeglichen Straßenkontakt vermieden haben, kommt es mir wie eine Ewigkeit vor.
Die Straße führt uns von Bagolino zum Lago d’Idro. Gelegentlich kommt ein Auto vorbei. Auch mal das ein oder andere Grüppchen Cabrios. Zumeist mit Nummernschildern aus der bayrischen Landeshauptstadt. Stets wird die Fahrt für die Nachwelt mit einer GoPro festgehalten. Motorradfahrer können dem Reiz der kurvigen Waldstraße ebenso wie die Rennradfahrer nicht widerstehen. Und dann sind da noch wir, die brütende Sonne und die Eidechsen.
Und dann kapituliert auch noch die Kamera. Sie ist in der Sonne kollabiert. Kein Lebenszeichen.
Am Lago d’Idro statten wir erst einmal einer Eisdiele einen Besuch ab. Ein großer Becher Eis und dazu einen Kaffee. Danach geht es durch zumeist landwirtschaftlich genutzte Flächen in Richtung Seeufer. Ich hatte damit gerechnet hier auf Hotelanlagen und dergleichen zu treffen. Aber Fehlanzeige, teilweise gehen die Felder bis fast an den See heran.
Über Stege laufen wir durch ein Biotop am See entlang und suchen einen Campingplatz auf. Wir überlegen die Nacht hier zu bleiben. Haben aber weder Zelt noch Wohnmobil. Somit verwerfen wir den irrsinnigen Gedanken und steigen über den Ort Baitoni durch den Wald in Richtung Bondone auf. Von dort geht es durch den Wald aufwärts in Richtung unseres Tageszieles. Alpo ist ein kleiner Ort in den Bergen und dort soll unser nächstes Rifugio liegen.
Von Bondone an laufen wir immer dem ausgewiesenen Weg nach, müssen aber schon bald feststellen, dass die digitale Kompasskarte hier alles andere als aktuell ist. Der Weg verläuft zumeist parallel zu uns.
In dem Ort Alpo wenden wir uns automatisch in Richtung der Flaggen, die wir oberhalb des Ortes ausmachen können. Hier liegt aber nur eine Alm. Zurück im Ort stellen wir fest, dass wir an der Unterkunft bereits vorbei gekommen sind. Das unscheinbare Mehrfamilienhaus inmitten des Ortes ist jedoch geschlossen. Vor meiner Abreise wies man mich schon darauf hin, dass man in Italien besser vorher anruft, um nicht vor verschlossenen Türen zu stehen.
Wir stehen nun vor der Entscheidung direkt hier auf der Terrasse die Nacht zu verbringen oder zu der bewirtschafteten Malga Alpo aufzusteigen um uns noch Nahrung zu sichern oder dort zumindest in der Früh welche zu bekommen. Auch scheint es dort irgendwo eine Schutzhütte zu geben, der Wegweiser am Ortsrand wurde handschriftlich um den Begriff Bivacco ergänzt.
An der Alm werden wir relativ wortkarg um den Stall herum geführt. Zwischen den Rindern geht es unter lautstarkem Protest der Schutzhunde zu einem kleinen abgetrennten Bereich und einem Nebenraum des Stalles. Der Bauer macht das Gatter hinter uns zu. Die Hunde sind frei auf dem Gelände, es soll hier Bären geben wie er uns anschaulich vermittelt. Meine Recherchen im Vorfeld ergaben, dass es im westlichen Trentino (also in unmittelbarer Nähe) eine kleinere Bärenpopulation geben soll. Zu sehen bekamen wir aber bisher noch keine.
Das Bivacco ist allem Anschein nach schon seit geraumer Zeit der Ersatz für das Rifugio. Es ist ein kleiner feuchter Raum mit Holzofen und einem Etagenbett im Vorraum. Die letzten Einträge im Hüttenbuch sind aber bereits ein paar Monate alt. Wir heizen ein – von den Lebensmittelresten und Kochutensilien machen wir aber keinen Gebrauch. Statt die Betten zu nutzen, räumen wir den Tisch beiseite und machen es uns mit den Isomatten auf dem Boden gemütlich.
Elisabeth macht sich todesmutig auf den Weg durch das Rudel Hunde, um den dafür vorgesehen Kanister am Hauptgebäude mit Wasser auffüllen zu lassen. Nachdem sie eine Weile nicht zurückkehrt, folge ich ihr. Sie lässt sich durch die Käserei führen, hat Brot und Käse gekauft.
Die Kommunikation ist ein wenig schwierig, aber die Familie ist sehr nett. Ich nehme noch ein wenig von der hausgemachten Wurst und somit ist unser Abendessen gesichert.