Um mich herum ist es dunkel. Der Wald ist still. Wiederholt bin ich in der Nacht aufgewacht, habe mit Verrenkungen die Arme aus dem engen Schlafsack befreit und bin zurück unter das Tarp gerobbt. Doch immer wieder bin ich langsam, aber stetig, auf dem abschüssigen Untergrund aus meiner schützenden Behausung herausgerutscht. Irgendwann habe ich den Kampf mit der Isomatte aufgegeben, mich meinem Schicksal ergeben und hatte im Anschluss doch noch einen festen und erholsamen Schlaf.
In Folge der früh einbrechenden Dunkelheit lag ich bereits vor acht Uhr im Schlafsack, bin dementsprechend früh wieder munter. Mit der Zeit gewöhnen sich die Augen an die Dunkelheit die mich umgibt. Ich packe meine Sachen zusammen, suche mit der Taschenlampe vergeblich zwei meiner Titanheringe und trotte dann langsam durch den frühen Morgen. Der Weg stößt bald an die Straße nach Estellencs. Bereits hier kleide ich mich erneut um, denn mir ist zu warm. Ich kürze ein Stück über die verlassene Straße ab und nehme dann einen Pfad durch das Gebüsch. Dieser mündet in eine weitere Straße, welche mich über Serpentinen in den Ort bringt.
Nett ist es hier. Die Gassen jedoch leer, die Bar noch geschlossen und so gehe ich weiter und verlasse den Ort alsbald.
Abermals ein Stück der Straße folgend, soll ich über die Zufahrt einer Finca wieder auf den GR 221 treffen. Ein Spanier, der zur Arbeit eilt, kann mir mit dem Weg auch nicht helfen. Wir gehen ein kurzes Stück gemeinsam zu einem der Anwesen, auf welches er muss. Für mich eindeutig die falsche Richtung und so drehe ich um und finde auch dann den richtigen Abzweig. Ein Stück oberhalb der Straße geht es auf einem Trampelpfad, umsäumt von Kiefern, weiter. Immer wieder hat man einen Ausblick auf das Meer.
Als der Weg vor der Einfahrt zur Finca Planícia endet wird es knifflig. Hier soll ich, laut aktueller Informationen, nicht der Beschilderung des Fernwanderweges folgen, denn dieser Pfad ist im weiteren Verlauf gesperrt. Die Alternative führt einen direkt durch das Tor, über die Finca hinweg und trifft erst sehr viel später wieder auf die angedachte Route.
Ohne Wegweiser oder ersichtlichen Pfad fremden Grund zu überqueren bereitet mir ein ungutes Gefühl. Der Fahrweg durchläuft in Serpentinen den Olivenhain. Zwischen den Bäumen grasen Schafe. Auch eine Gruppe Esel quert meinen Weg.
Nach gut zwei Kilometern treffe ich auf die Gebäude der Finca Planícia, welche schon von unten zu sehen waren.
Der Picknicktisch am Nebengebäude liegt leider im Schatten. Mein mit Wasser angeteigtes Müsli verspeis ich somit ein Stück weiter auf einem Mäuerchen.
Auf der Suche nach dem sonnigen Platz bin ich jedoch prompt falsch abgebogen. Beziehungsweise bin ich blöderweise dem Wegweiser gefolgt und habe es versäumt abzubiegen. So laufe ich das kurze Stück zurück und abermals in einen Steineichenwald hinein. Die Wegbeschreibung ermahnt mich, sorgfältigst auf die roten Markierungen zu achten, um den Weg nicht zu verlieren. Markierungen kann ich jedoch keinerlei finden, dafür ist der Weg deutlich auszumachen – was mich zusätzlich verunsichert. Mangels Alternativen folge ich dem Pfad und muss schon bald wie beschrieben mitten im Wald eine mannshohe Mauer übersteigen. Auf der anderen Seite angekommen keimt in mir die Frage auf, ob denn dies jetzt die richtige Seite ist oder ob ich nicht von dieser hätte kommen sollen. Nutzt alles nichts, die Karte gibt mir darüber keine Auskunft also schreite ich weiter voran. Der Pfad trifft bald auf einen Weg und dieser auf einen Fahrweg, der wiederum an einen Schotterweg mündet. Das passt zur Wegbeschreibung. Die Himmelsrichtung stimmt auch, doch die Finca, welche ich passieren soll, bekomme ich nie zusehen. Trotz allem folge ich dem Weg weiter, ignoriere Wegweiser die eigentlich am mein Ziel führen und treffe irgendwann tatsächlich wieder auf den GR 221.
Der eigentliche Routenverlauf geht zuerst ans Meer nach Banyabulfar und dann ins Landesinnere nach Esporles. Ich befinde mich nun dank der Umleitung auf halber Strecke zwischen den beiden Orten und erspare mir den Abstecher an die Küste. Ein alter Postkutschenweg bringt mich direkt nach Esporles.
Auf der Strecke sind viele Tagesausflügler unterwegs was ich durchaus nachvollziehen kann, denn der gepflasterte breite Weg, welcher sich durch den Wald zieht, ist wirklich schön.
Kurz vor Esporles treffe ich bei inzwischen sommerlicher Hitze auf eine Straße und laufe parallel an dieser entlang bis ich den Ort erreiche. Das Städtchen ist größer als erwartet, aber wirklich nett anzusehen.
Im hiesigen Supermarkt kaufe ich mehr ein, als meine Hände tragen können. Eine ganze Weile verbringe ich vor dem Laden auf dem Fußboden, entledige mich sämtlicher Umverpackungen und verstaue den neu erworbenen Proviant so gut wie möglich im Rucksack. Dazu genehmige ich mir eine eisgekühlte Cola. Die Bar in einer Seitenstraße serviert mir anschließend ein sagenhaftes Bocadillo Lomo und ich nehme mir dann noch Zeit für einen Kaffee. Eilig hab ich es gerade nicht.
In der brütenden Sonne verlasse den Ort durch diverse Ländereien und steige eine Asphaltstraße hinauf.
Bald ist wieder der Schatten des Waldes erreicht. Der lichte Steineichenwald wird von einer Vielzahl von Wegen durchzogen. Ich steige stetig auf in Richtung Hochebene Mola de Son Pacs und immer wieder leiten mich kleine Hinweise, in Form von Steinwällen und Ästen, in die (vermutlich) richtige Richtung. Es führen definitiv nicht alle Wege nach Rom, ein großer Teil führt nur diesen Berg hinauf. Irgendwann wird der Weg breiter sowie die Landschaft weiter. Die nackten Stämme der Bäume erlauben eine weite Sicht, die sich aber auf weitere Baumstämme beschränkt. In regelmäßigen Abständen sind moosgrüne Köhlerplätze zu erspähen.
Immer dem Weg folgend passiere ich eine Abbruchkante, welche einen Blick in die Landschaft zulässt. Von hier geht es zuerst runter auf den Sattel Coll de Sant Jordi und von diesem wieder steil (und hier meine ich tatsächlich steil) über den Rücken des Sa Comuna bergauf. Mit jedem Meter Höhe, den ich gewinne, kehrt auch der Wind zurück. Vermisst habe ich ihn nicht. Heftig umtost er mich als ich den flachen Berg überquere. Unwirklich muten diese kargen, windigen und menschenleere Wälder an. Seit Esporles, welches ich bereits vor einigen Stunden verlassen habe, ist mir kein Mensch mehr begegnet.
Oben am “Gipfel” des Sa Comuna (709m) öffnet sich der Blick kurz auf den Ort Valldemossa.
Hier wollte ich eigentlich nächtigen, den Sonnenuntergang betrachten und morgen absteigen. In meiner Vorstellung war das ein vielversprechender Plan. Doch ist es hier oben wenig einladend, zu Wind und Wetter kommen in diesem nun düster und trostlos wirkenden Wald auch noch Schneisen, welche fächerartig in den Wald geschlagen sind. Im Schussfeld der Jäger will ich wahrlich nicht schlafen. Also steige ich ab.
Abermals treibt mich die Wegbeschreibung in den Wahnsinn. Wegweiser sind schlichtweg nicht vorhanden und Markierungen führen in die falsche Richtung. Den GPX Track würdige ich keinen Blick mehr. Aber auch hier führen wohl alle Wege ans Ziel.
Am Klostergarten betrete ich Valldemossa. Die Altstadt ist wahrlich ein Traum. Zumindest nun in der Nebensaison. Souvenirshops und große Cafés sind leise Hinweise auf die touristische Prägung der Stadt. Gerne würde ich mich noch in eine Bar setzen, den Blick schweifen lassen und die Stimmung genießen. Doch es dämmert bereits und ich befürchte, dass die Lagerplatzsuche auch heute nicht einfach wird.
Am Ortsausgang treffe ich auf drei Spanier, die ihr Zelt direkt auf dem Weg neben der Straße aufbauen. Vielleicht bin ich auch einfach zu wählerisch? Ich steige den Pfad ein Stück weiter auf und stehe vor einem Pförtnerhäuschen. Hier beginnt neuerdings ein Geierschutzgebiet, für welches man eine Genehmigung brauch. Den GR221 hat man kurzerhand an das andere Ortsende verlegt. Ich hatte davon gelesen, aber noch nicht am zweiten Tag damit gerechnet. Ich studiere auf der Karte meine Optionen und entschließ mich das Tal oberhalb zu umlaufen. Nochmal zurück nach Valldemossa zu gehen und die neue Route einzuschlagen möcht ich nicht. Und in einem Schutzgebiet, für welches man eine Genehmigung brauch, möcht ich nicht zwingend mein Zelt aufstellen. Ich steige durch den Wald zügig auf, überdenke viele Plätze am Wegesrand und komme schlussendlich an eine Lichtung mit einer zerfallenen Viehtränke. Hier entspringt eine kleine Quelle. Mücken gibt es aber augenscheinlich nicht. Der Boden ist zwar zertrampelt, Viehspuren oder gar -kot kann ich jedoch keinen entdecken. In der Hoffnung nicht von durstigen Ziegen aufgeweckt zu werden richte ich mein Lager ein. Der Berg liegt zwischen mir und dem offenen Meer und schützt mich vor dem Wind, doch dieser ist hier dafür wechselhaft. Immer wieder rauschen Böen aus unterschiedlichen Richtungen durch die Bäume. Mein Tarp jedoch, ist nur auf drei Seiten geschlossen.