Ich vernehme ein lautes Geräusch und bin sogleich hellwach. Die Plane des Tarps flattert schlaff im Wind.
Es ist zwei Uhr nachts. Während der letzten Stunden hat der Wind meine Behausung unentwegt bearbeitet – mit Erfolg. Die letzte Böe ist unter die Plane gefahren und hat die Heringe aus dem Boden gerissen. An den restlichen Schnüren baumelt das Tarp in der Luft.
Ich stehe auf, wie zum Hohn ist nur ein laues Lüftchen zu verspüren. Schnell habe ich mein Shelter neu errichtet. Diesmal mit der offenen Seite zu der zerfallenden Viehtränke, an welcher ich liege, hin.
Die restliche Nacht verbleibt ruhig. Ich stehe früh in der Dämmerung auf und putze meine Zähne in den ersten Sonnenstrahlen. Das Wetter schaut viel versprechend aus.
Die ersten Morgenstunden verbringe ich damit, weiter durch den Steineichenwald aufzusteigen.
Nach einer Weile erreiche ich eine Gabelung. Hier treffe ich auf einen Weg, welcher in das gesperrte Tal hinab führt. Ich bleibe bei meinem Plan und laufe oberhalb davon weiter.
Unweit des Abzweiges passiere ich den Mirador de ses Basses. Von dem Aussichtspunkt blickt man in das flachere Hinterland der Insel bis hin nach Palma.
Auf der Hochebene des Bergmassives angekommen lichtet sich die Landschaft. Die Bäume weichen und machen der hier typischen Macchia-Vegetation platz. Um mich herum weiden Schafe und Ziegen.
Ich quere das Plateau über einen Saumpfad und treffe wieder auf den GR 221, welcher aus dem Coma des Cairats Tal hier hinauf führt.
Ab hier folge ich wieder dem Streckenverlauf des Trockenmauerweges. Dieser führt mich über den Gipfel des Caragoli (945m), welcher einen ersten Blick auf das unter mir liegende Deià bietet. Leider liegt der Ort zur frühen Stunde noch im Schatten des Bergmassives.
Wenig später erreiche ich auch den Abzweig ins Tal. Ich jedoch laufe erstmal ein Stück auf dem Cami s’Arxiduc, einst Reitweg des Erzherzog Ludwig Salvator, entlang, um von dort einen Blick auf das Meer zu werfen.
Zurück auf meiner Route steige ich über ein schmales Band nach Deià ab. Am frühen Morgen sind nur ein paar Trailrunner unterwegs. Der Abstieg führt mich zu terrassierten Olivenhainen. Deutlich zeigt sich die Verwahrlosung. Der Pfad windet sich durch die nichtmehr genutzte Plantage. Immer wieder quert man eingebrochene Mauern und umgestürzte Bäume.
Deià macht einen adretten Eindruck. Große Hotelbunker, die das Stadtbild verschandeln, lassen missen. Unschwer lässt sich aber erkennen, dass auch hier der Tourismus seine Spuren hinterlassen hat. Neben der großen Anzahl an Restaurants und Maklerbüros gibt es auch einen kleinen Supermarkt. Der Inhaber spricht mich sogleich auf Deutsch an. Möge es auch nett gemeint sein, Sympathien weckt das bei mir nicht.
Sobald ich die erste Stufe des Weges in Richtung Strand betrete, wird es voller. Das kurze Wegstück zum Meer teile ich mir mit einer Vielzahl an Wanderern.
Am Cala de Deià nutze ich die felsige Bucht um eine kurze Pause zu machen und den Blick über das Meer schweifen zu lassen.
Von hier aus werde ich abermals von der Route abweichen. Ich laufe fortan parallel zum GR-221 auf dem Cami dels Pintors, dem Künstlerweg. Dieser, angeblich alte Piratenweg, führt unmittelbar an der Steilküste entlang und verbindet Deia mit Port de Sóller.
Der wundervolle Weg ist leider kein Geheimtipp, ganze Wandergruppen genießen den Blick auf das Meer und die Felsen. Auf dem eigentlich einfach zu begehenden Weg hat es in der Vergangenheit aufgrund seiner exponierten Lage schon wiederholt schwere, teils tödliche, Unfälle gegeben.
Nach ein vielleicht zwei Kilometern endet der stark belaufene Rundweg und ich folge dem nun schlechter ausgetretenen Pfad weiter Richtung Port de Sóller. Immer wieder muss ich mich durch das Gebüsch schlagen um abgerutschte Bereiche zu umgehen. Nur noch vereinzelt treffe ich auf andere Personen. Bis zuletzt ist auf gleicher Höhe eine britische Familie, welche sich zielstrebig durch das Dickicht vorarbeitet. Ein älteres Ehepaar aus Deutschland ist auch bis hierhin vorgedrungen, ist mit der Situation aber sichtbar unglücklich. Da ich die Gegebenheiten nicht kenne und mich selbst relativ planlos auf gut Glück durchschlage kann ich ihnen bei der Wegfindung nicht weiterhelfen. Ich werde sie noch eine ganze Weile hinter mir zwischen den Büschen erspähen.
Der Pfad trifft irgendwann auf eine kleine Ansammlung von Häusern. Ich klettere durch einen Wasserkanal um die dahinterliegende Straße zu erreichen und muss feststellen, dass wenige Meter weiter eine Furt ist. Inzwischen geht es auf Mittag zu, die Sonne scheint unerbittlich und ich kämpfe mich auf der Asphaltstraße nach oben. Dort kehre ich zurück auf den eigentlichen Verlauf des Fernwanderweges und folge diesem nun verhältnismäßig eben durch Ländereien mit Olivenbäumen.
Sobald sich der Blick auf Port de Sóller öffnet geht es über einen gepflasterten Weg hinab. Optisch spricht der Ort mich nicht an. Sichelförmig reihen sich die Hotelbauten an der Strandpromenade auf. Doch ich brauche dringend eine Pause. Der Umweg entlang der Küste war anstrengend – die Sonne gab mir den Rest.
Eine Weile laufe ich an der Promenade entlang doch kann keine Einkehrmöglichkeit entdecken die mir gefällt. Somit suche ich mir einen schattigen Platz in einer x-beliebigen Bar, bestelle mir eine Kleinigkeit zu essen und etwas Kaltes zu trinken. Außerdem nutze ich die Pause, um nach einer Steckdose zu fragen und den Akku meiner Kamera zu laden. Nach dem kurzen Break laufe ich noch ein wenig dem Hafenbecken entlang und erkundige mich wann die nächste Straßenbahn fährt. Die obligatorische Bahnfahrt nach Sóller hinauf möchte ich mir nicht entgehen lassen.
Sóller ist mir sogleich sehr viel sympathischer. Trotzdem wende ich mich umgehend in Richtung Norden und marschiere los. Es ist spät, ich würde gerne hinauf in das Gebirge und mir dort ein Platz zum Zelten suchen. So laufe ich in der Abendsonne Richtung Biniraix. Obwohl ich den Weg an der Straße entlang wähle, ist dieser schön zu gehen.
Die schmale Straße ist kaum befahren und neben mir reihen sich die Berge auf. Am Dorfplatz von Biniraix sitzen viele Einheimische vor einer Bar. Heute ist Feiertag in Spanien, auch auf dem weiteren Weg durch die Barranc de Biniaraix werden mir viele Ausflügler vom Cuberstausee entgegenkommen.
Der Weg durch die Schlucht ist traumhaft, das enge Tal ist mühevoll terrassiert und mit Olivenbäumen bepflanzt. Die untergehende Sonne lässt die Felswände erleuchten.
Steil führt der Weg nun durch die Haine, trotzdem werde ich immer schneller. Allmählich bekomme ich Zweifel ob ich denn hier, in der kargen und steinigen Schlucht, einen Schlafplatz finden werde. Notfalls könnte ich mich auf eine der Terrassen legen, bequem sieht das aber nicht aus. Während die Sonne untergeht überhole ich zwei Frauen mit Trekkingrucksäcken. Mehr als ein Gruß wird nicht ausgetauscht, unbeirrt schreite ich voran. Ich ärgere mich schon bald, dass ich mich nicht zumindest erkundigt habe ob sie schon einen Schlafplatz in Aussicht haben.
Als ich eine Finca oberhalb der Schlucht passiere, wird es endgültig Nacht. Ich entschließe mich noch bis zum Stausee zu laufen. Durch den dunklen Wald steige ich auf zum Pass Coll de l’Orfe. Umringt von einer Herde Schafe darf ich einen letzten Blick auf das Meer und die untergehende Sonne werfen.
Von der Passhöhe aus geht es sanft bergab durch ein bewaldetes Tal. Als ich den Wald verlasse, zeichnen sich in der Dunkelheit die Umrisse einer weiteren Finca ab. Ich laufe nun in Richtung See. In der Ferne sehe ich immer wieder Autoscheinwerfer, führt doch am See eine Straße vorbei. Beim umqueren des Cuber Stausees kann ich Licht in der auf der anderen Seite gelegenen Hütte erkennen. Also starte ich einen Versuch heute doch noch unter Gleichgesinnte zu kommen und kehre um. Bei meiner Ankunft an der nah gelegenen Hütte muss jedoch feststellen, dass dort ein Auto vor der Tür steht. Das entspricht nicht meinen Vorstellungen. Ich hatte die Hoffnung auf weitere Fernwanderer zu treffen und nicht auf, inzwischen vermutlich betrunkene, Ortsansässige. Also kehre ich abermals um und bringe Distanz zwischen mich und die Hütte.
Am nördlichen Ende des Stausees soll es einen weiteren Picknickplatz geben. Neben der Straße zwischen Tischen und Bänken zu schlafen reizt mich zwar auch nicht, jedoch fällt es mir in der Dunkelheit der Nacht schwer irgendwas Besseres auszumachen. Zumal der schmale Wall, auf dem der Weg nun verläuft, auf einer Seite an den See grenzt und zur anderen Seite steil abfällt. Nachdem ich eine gefühlte Ewigkeit später den See hinter mir gelassen habe, steige ich von der Straße ein Stück den Pfad hinauf. Tische und Stühle sehe ich keine, jedoch eine eben Fläche an welcher ich nun schlussendlich mein Tarp aufbaue und mich alsbald schlafen lege.
Martin
5. Mai 2017 — 0:01
Lieber Maximilian,
sehr interessante Berichte und tolle Bilder. Ich hoffe bald von den restlichen Etappen lesen zu können.
Besonders hat mir dein Bericht über den L 1 gefallen. Dieser Weg wird ein ernsthafter Kandidat für meine eigene geplante Alpenquerung.
Viele Grüße,
Martin
Maximilian
5. Mai 2017 — 19:30
Hej,
die weiteren Etappen sind nahezu fertig. Ich habe die letzten Tage wenig Zeit aufbringen können, doch nun ist es bald geschafft!
Freut mich sehr, dass es dir gefallen hat. Rückmeldungen dieser Art sind Gold wert!
Gruß,
Max
Martin
8. Mai 2017 — 21:55
Da freu ich mich drauf ! Eine hast du ja schon neu eingestellt.
Deinen Bericht zur Alpenüberquerung hab ich übrigens ohne Pause in einer Nacht gelesen und sehr genossen. Ich werde deinen Blog auch mal meinen potentiellen Begleitern für die große Tour zusenden.
Bis dann,
Martin
Maximilian
8. Mai 2017 — 23:21
Herzlichen Dank. Freut mich wirklich sehr, dass es auch Leute lesen, welche ich nicht dazu nötige 😉