Maximilian Lange // Journal

Fels, Wasser, Erde & Luft

Pyrenäentraverse 2 – Parc National des Pyrénées

Kalksteinriesen reihen sich um den Talkessel vor dem Bergdorf Lescun auf. Mit dem sogenannten Cirque de Lescun beginnen die Hochpyrenäen und für mich die Wanderung durch den Parc National des Pyrénées.

Am Abend zuvor habe ich mein Zelt so ausgerichtet, dass mein Blick am Morgen auf einen Teil  eben dieser Gebirgskette fällt.

Nachdem meine Habseligkeiten im Rucksack verschwunden sind, gehe ich die wenigen Meter zum Dorf hinauf. Ich hab es nicht eilig, der Supermarkt Chez Maud&David öffnet erst um halb neun, so dass ich noch einiges an Zeit totschlagen muss bis ich meinen Proviant bekomme. Auf dem Dorfplatz herrscht Trubel, bei den Wanderern herrscht Aufbruchsstimmung.

Der kleine Supermarkt bietet viele regionale Waren an und hat alles was das Wandererherz begehrt. Nebst frischer Teig- und Wurstwaren wird auch ein Frühstück angeboten. Dieses nehme ich auf der sonnigen Terrasse gerne zu mir, während ich versuche meinen opulenten Einkauf im Rucksack zu verstauen.

Anschließend geht es vorbei an einzelnen Kalksteinhäusern in das Labrenere Tal.

Der Pfad schwingt sich nach oben und geht in steile Serpentinen über. Ausgeschlafen und gut gefrühstückt spule ich die Kilo- und Höhenmeter zügig ab. Die Müh wird belohnt mit grandiosen Aussichten.

  

Die Pyrenäen sind bekannt für ihre zahlreichen Gebirgsseen. Den ersten davon werde ich am heutigen Abend erreichen. Gerne würde ich dort mein Lager aufschlagen noch bevor das angekündigte Gewitter durchrollt. Doch bis dahin ist noch ein Zwischenabstieg zu absolvieren. Im Tal angekommen ist am Fluss eine kurze Rast angesagt: Bis zum See sind es noch knapp 400 Höhenmeter und eine Stunde zu gehen.

Als der Himmel sich bereits wieder eintrübt spute ich mich. Wie bereits befürchtet renne ich zielstrebig in die Wolken hinein. Auf dem Plateau angekommen sollte eigentlich der Ibon de Astanes vor mir liegen, jedoch liegt die Sicht bei nur wenigen Metern. Dem Track auf meinem Smartphone folgend gehe ich den See entlang, der sich irgendwo dort draußen versteckt, denn ein Weg ist nicht ersichtlich. Allmählich bin ich es überdrüssig stundenlang durch Nebel zu stapfen ohne auch nur das Geringste zu sehen. Die letzten zwei Tage hatte ich beste Sicht und bin auf den Geschmack gekommen, denn Stunde um Stunde bergauf und bergab zu stapfen  derweil sich alles um einen herum in grauen Dunst hüllt widerstrebt mir.

Am Ostufer des Sees trifft die Haute Route wieder auf den GR11. Wie ich von Reimar erfahre ist er bereits bis Candanchu durchgelaufen um dem angekündigten Wetter zu entfliehen. Ich lasse mich von ihm in der Unterkunft voranmelden und nehme die Beine in die Hand. Es ist bereits 19 Uhr und ich sehe zu, dass ich runter komme von diesem Berg. Durch Nebel und Dunst tauche ich bald in einen Wald ein, quere die steile und erodierte Schuttrinne des Aspe (der Gott sei Dank fast kein Wasser führt) und erreiche dann Candanchu früher als erwartet in der Dämmerung.

Skilifte die im Wind baumeln, leer stehende Gebäude in Nebelschwaden, schier endlose leere Parkflächen. Skiorte wirken im Sommer zumeist trostlos, doch diese Geisterstadt setzt dem die Krone auf. Reimar ist im örtlichen Refuge abgestiegen, wie mir scheint als einziger Gast. Völlig ausgelaugt und durchgefroren stelle ich mich erstmal unter die Dusche und versuche mich und meine Kleidung vom gröbsten Dreck zu befreien bevor ich mich zum Abendessen und billigen Rotwein geselle.

Während der kommenden Nacht schrecke ich aus dem Schlaf, als etwas über meine Beine läuft. Ich kann noch einen Schatten erkennen, welcher aus dem Fenster springt und sich über die Terrasse aus dem Staub macht. Erst am Morgen werde ich feststellen, dass etwas die Salami angeknabbert hat, welche ich in Lescun gekauft hatte.

Das Wiedersehen mit Reimar währt kurz, denn direkt hinter Candanchu trennen sich am nächsten Morgen die Wege wieder. Haben mich die Tage zuvor meist mit klaren Wetter begrüßt, startet der heutige wie der Vortag endete. Nass und kalt. Ich steige über die Straße zum Skikomplex nach Astun auf.

Während die ersten Ausflügler mit dem Sessellift nach oben schaukeln, kämpfe ich mich den Berg hoch. Allem Anschein nach sind die Berge wohl sehenswert, jedoch nicht sichtbar. Oben angekommen ist abermals alles wolkenverhangen.

  

Mein Pocket Guide hält für alle Hindernisse und Umstände Varianten parat. So auch für das Blockfeld am Col de Peyreget. Eine Variante um den unerfreulichen Pass zu vermeiden, wie es in meinen Unterlagen heißt. Nachdem ich die letzten Tage viel zu oft wetterbedingt vom Weg abweichen musste, lasse ich mich diesmal nicht auf den falschen Pfad leiten. Sofern es denn geht möchte ich mich an die Route halten.

Den Pass unschwierig und recht zügig erreicht, stehe ich direkt am imposanten Pic du Midi d’Ossau. Gegenüber diesem liegt ein naher Gipfel, welcher mir wohl einen besseren Blick auf den markanten Berg gegeben hätte, doch Wolken umringen die Spitze des Gipfels und ich schenke mir die zusätzlichen Höhenmeter und steige zum Refuge de Pombie ab.

In der Ecke des Gastraumes warte ich geduldig bis die Hüttenwirte mit dem Mittagessen fertig sind um dann nach einem Kaffee zu fragen. Die Tasse ist weder heiß noch schmeckt sie sonderlich, das Warten darauf wird als Regenerationspause verbucht.

Auf der anderen Seite des Tales wartet laut meinen Aufzeichnungen die nächste anspruchsvollere Stelle der Tour auf mich. Doch zuvor gilt es die Regenjacke anzuziehen, denn wich der Nebel in den letzten Stunden doch noch der Sonne, zieht nun ein Regenschauer über mich weg. Schnell sind meine Schuhe vollgesogen und die Hose klebt an den Oberschenkeln. Hier oben auf über 2000 Meter bedeutet dies schneller laufen wenn man nicht frieren möchte.

Am Lac d’Arrious kurz vor der Passage d’Orteige angekommen stelle ich kurzentschlossen mein Zelt auf. Noch ist es erst später Nachmittag, doch weitere Stunden ohne jegliche Sicht durch die grau verhüllte Gebirgswelt stapfen möchte ich nicht. Zuviel habe ich die letzten Tage schon von der Landschaft verpasst, zuviel Stunden damit verbracht stumpf weiter zu laufen ohne auch nur irgendwas zu sehen. Somit leg ich mich ins Zelt und höre noch einer ganzen Weile dem Regen zu, wie er auf das Zelt prasselt.

Goldrichtig ist die Entscheidung des Vortages gewesen. Als ich am Morgen erwache, hängen die Wolken tief im Tal und geben die Sicht auf den Pic du Midi d’Ossau und die umliegenden Berge frei.

Auch die Passage d’Orteige ist eigentlich nicht der Rede wert, das kurze seilversicherte Stück ist schnell gequert und die Hütte dahinter erreicht. Erneut versuche ich mein Glück, doch lauwarmer Kaffee mit Milchpulver taugt zum Abgewöhnen.

An Bergseen, einer schöner als der andere, geht es gen Tal. Ich wandere zum pittoresk gelegenen Refugio de Respomuso, denn ich möchte heute vom Col de la Fache zum Grande Fache (3005m) aufsteigen. Angesichts des traumhaften Weges dorthin, bereue ich es keine Sekunde parallel zur offiziellen Route zu laufen.

 

Am Sattel angekommen verlässt mich ein wenig der Mut. Am Himmel ziehen Wolken auf und ausgerechnet den Blick nach Süden, von wo das Wetter kommt, versperrt mir der Gipfel.

Kurzentschlossen schmeiß ich meinen Rucksack hinter einen Felsen und laufe dann doch los. Auf einer vagen Route geht es durch den steilen und losen Fels bergan.  In der Regel steht in jede Blickrichtung ein Steinmännchen, so dass ich es bald aufgeben den Weg auf den Gipfel des Grande Fache (3005m) zu finden. Acht Tage hat es nun gebraucht, doch schlussendlich stehe ich erstmals in den Pyrenäen auf einem Gipfel.

Diesem Selfie viel der Gipfel des Argualas (3046m) zum Opfer. Man muss Prioritäten setzen.

1200 Höhenmeter tiefer liegt das Refuge Wallon traumhaft im Tal. Es geht auf Abend zu und es wird langsam voll an der Hütte. Zwischen den spärlich gesäten Bäumen bauen eifrige Wanderer ihre Zelte auf. Es scheint wohl Wochenende zu sein, beziehungsweise hoffe ich, dass nur deshalb hier so viel los ist.

Mich zieht es weiter. Ich steige entlang des Flusses durch das Tal auf und stelle dann noch vor der Dämmerung mein Zelt auf, denn abermals hängen die Wolken tief. Ohne Not möchte ich auch heute nicht darin eintauchen. Das Finden eines Zeltplatzes ist unproblematisch, doch bis ich die Stelle so gut es geht von den Hinterlassenschaften der Kühe bereinigt habe dauert es eine ganze Weile. Sofern die Fladen trocken sind lassen sie sich mit einem Stock gut entfernen, doch ist unter der trockenen Haut der Kern noch saftig endet es in einer großen Schweinerei.

Als ich am Morgen das Hochtal und den darauf liegenden See erreiche, ist der Nebel abgezogen. Das Muster, Abends aufziehende Wolken – Morgens klarer Himmel, scheint sich zu etablieren. Am Ufer stehen vereinzelt Zelte, um die Location beneide ich sie ein wenig.

Über Geröll geht es auf einen Pass hinauf. Dieser gibt den Blick in ein weites mächtiges Tal frei. Den Talschluss durch Geröll umrundend erklimme ich den gegenüberliegenden Sattel, der mich unmittelbar in das Tal vor den Vignemal entlässt. Von oben sieht man eine Vielzahl an Steinkreisen, Befestigungsanlagen der Wanderer, welche die Aire Bivouac nutzen. Also in der Nähe der Hütte campieren um deren Logistik nutzen zu können. Viele sind noch mit dem Abbauen des Zeltes beschäftigt. Einer der Gründe warum ich ungern Hütten anlaufe, für die warme Mahlzeit am Abend muss man früh erscheinen und kommt im Gegenzug morgens erst spät nach dem Frühstück los. Daher ziehe ich es vor alleine in der Wildnis zu lagern und trocken Brot zu essen. Baguette. Mit Snickers.

Doch die Lage des Refuge des Oulettes de Gaube ist wirklich traumhaft, eine Übernachtung hier vermutlich, ebenso wie auf dem Refuge Wallon vom gestrigen Tage, sehr sehr lohnenswert.

Nach einer kalten Cola und ein paar Brownies als zweitem Frühstück breche ich von der Terrasse der Hütte wieder auf. Auf dem steilen Aufstieg kommt mir eine Vielzahl an Leuten entgegen, denn ich streife auf dieser Strecke den GR10.

Auf halber Höhe überhole ich einen jungen Typen. Er ist etwa einen Kopf kleiner als ich, der olivfarbene Rucksack einen Kopf größer. Beide Hände unter die Schultergurte gestemmt und gesenkten Blickes kämpft er sich Schritt für Schritt den Hang hinauf, während der Schweiß von seiner Stirn tropft. Auch wenn ich nicht so hochnäsig auf ihn herab blicken sollte, Verständnis für sein überdimensioniertes Gepäckstück kann ich beim besten Willen nicht aufbringen.

Ich indes fühl mich fit wie nie. Völlig auf Zucker geht es fast im Laufschritt nach oben. Den Abstecher auf den Petite Vignemal schenk ich mir trotzdem,  zuviel Trubel herrscht hier. Ich laufe zügigen Schrittes in das Tal hinab.

Unten im Tal liegt ein Schneefeld, ausgerechnet dort wo sich zwei Schmelzwasserflüsse treffen. Über die ausgehöhlte Schneedecke führen zwei Wege. Beide erscheinen mir nicht ganz koscher, doch bei der Vielzahl an Wanderern die hier täglich durchkommen werde wohl nicht ausgerechnet ich der Pechvogel sein der ein unfreiwilliges Bad nimmt.

Als das Tal sich weitet, stoße ich auf einen Parkplatz und verlasse den Weg. Die Landschaft, die ich durchwandere  bleibt auf der Straße dieselbe denke ich mir und laufe zügigen Schrittes über die kaum befahrene Piste weiter. Die Länge der Strecke hinab nach Garvanie, habe ich jedoch unterschätzt. Die Sonne ist am heutigen Tage motiviert und zeigt was sie kann als ich den Asphalt runter spurte.

Garvanie – beziehungsweise, dass was der Tourismus von dem Ort übrig gelassen hat – ist eine Aneinanderreihung von Souvenirshops und Restaurants. Der Königssee an einem sonnigen Sonntagmittag ist das reinste Idyll im Vergleich. Der Campingplatz des Ortes hingegen ist nicht so verkehrt, die wenigen Terrassen sind nur Zelten vorbehalten und bieten Blick auf die Attraktion, welche dem Ort zu Bekanntheit verholfen hat: den Cirque de Garvanie. Zumindest theoretisch, trotz sonnigen Wetters ist der Cirque samt Wasserfall im Dunst für mich kaum wahrzunehmen.

Es ist Nachmittag, ein großes Etappenziel ist erreicht und dies wird gefeiert. Nach dem Duschen versacke ich bei Steak und Bier im Restaurant.

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