The hard or the easy way to Salardu. So titelt das Kapitel in meinem Buch zu den kommenden Tagen. Auch wenn ich es nicht darauf anlege stets den schweren Weg zu nehmen: Zu leicht möcht ich es mir – sofern das Wetter mitspielt – auch nicht machen. Der nun folgende Abschnitt ist der fordernste meiner Route und führt mich durch steile Geröllfelder, Schneefelder, weglose Abschnitte und über die höchsten Pässe der HRP.
Der Weg aus Garvanie zunächst, ist jedoch ganz gemütlich. Nachdem ich in den frühen Morgenstunden den Talkessel verlassen habe, durchbreche ich alsbald die Wolkendecke. Der gestrige Tag bot keine freie Sicht auf den Cirque de Garvanie, doch zumindest heute kann ich einen kurzen Blick auf die letzten Ausläufer erhaschen.
Nach einer kurzen Kaffeepause etwas oberhalb des Ortes, erwartet mich im Nachbartal die nächste Sehenswürdigkeit der Gegend. Dort liegt der weniger bekannte Talkessel Cirque d’Estaubé. Immer wieder fasziniert es mich wie wenig das Bild in meinem Kopf, welches ich mir anhand der Karte von einer Gegend gebildet habe, mit der Realität übereinstimmt.
Mit jedem Schritt vom Talschluss Richtung Parkplatz werden die Wanderer zahlreicher und die Murmeltiere zahmer.
Neben Kuh und Murmeltier bietet der Morgen eine weitere tierische Attraktion: An den Felswänden segeln Scharen an Geiern auf der Suche nach Aas vorbei.
Als ich das Haupttal erreiche, öffnet sich der Blick auf meine weitere Tagesstrecke. Fast schlecht wird mir, als ich in der Ferne das weite Hochtal des Cirque de Troumouse und den Bergkamm sehe, welchen ich vor hatte zu erklimmen und zu umrunden.
Die Hitze wird gegen Mittag fast unerträglich, Zeit eine Pause einzulegen und die Beine im Bach baumeln zu lassen.
In vielen Schleifen windet sich eine Stichstraße hoch zum Parkplatz, welcher den Talkessel von Troumouse erschließt. Ich keuche in der prallen Sonne den Weg hinauf, doch oben ist noch lange nichts vom darauf liegendem See zu sehen. Weit und hügelig erstreckt sich das Plateau.
Auf der anderen Seite des Hochtals führt der Weg steil und felsig hoch zum Col de la Géla (2678m). Einen Pfad gibt es nicht, doch vereinzelt stehen Steinmännchen umher. In nahezu gerader Linie geht es die Bergflanke hinauf, während immer wieder das Geröll unter den Füßen wegrutscht. Glücklicherweise bin ich alleine am Berg und niemand in der Gefahrenzone unterhalb von mir. Der Parkplatz war voll und auf dem Plateau eine Menge Wanderer, doch hier will niemand hoch. Über den Bergen bauen die Wolken eine Drohkulisse auf, Wolkentürme kriechen über die Gipfel und der Wind nimmt zu.
Die Felsspitze des Pic de Gerbats darf ich noch linkerhand durch das Geröll umgehen, doch den Pic de la Géla (2851m) muss ich überqueren. Unter mir sehe ich schon den Gletschersee, an welchem ich mein Lager für den Abend aufschlagen möchte. Ich hoffe, dass das Wetter solange hält.
Auf halber Höhe zum Gipfel stelle ich fest, dass ich den Zettel mit meiner Wegbeschreibung verloren habe. Mal wieder. Doch diesmal find ich sie nicht wieder. Ich laufe den Aufstieg hinab und noch ein ganzes Stück zurück, doch anscheinend hat der Wind sie davon getragen. Da ich ein Backup auf dem Smartphone habe, ist der Verlust kein Weltuntergang. Doch hier ein Stück Plastik zurück zu lassen stört mich doch.
Vom Gipfel geht es weglos durch Schutt und Geröll steil bergab. Erst am Sattel treffe ich wieder auf einen besseren Pfad. Die Strecke, welche ich soeben auf dem Bergkamm gelaufen bin, gehe ich nun unterhalb von diesem in entgegengesetzter Richtung zurück zu den Lacs de Barroude.
Am See bin ich nicht alleine, nebst Gämsen kann ich zwei weitere Zelte an dessem Ufer ausmachen. Das Wetter hat soweit gehalten, doch nun hüllt sich alles in Nebel und ich mich schleunigst in meinen Schlafsack.
Der Morgen begrüßt mich mit einem klaren Himmel, traumhaften Sonnenaufgang und klirrender Kälte.
Ich breche das Lager ab und laufe zügig los. Erst als ich wenig später auf dem Sattel Port de Barroude (2535m) ins Sonnenlicht eintauche, nehme ich mir die Zeit die Zähne zu putzen.
Anschließend geht es auf direktem Weg das Tal hinunter, statt dem Kamm weiter zu folgen. Ich steige ab nach Parzan, Lebensmittel einkaufen und mich mit Reimar treffen. Auch wenn ich es sehr genieße alleine zu Wandern, ist ein bekanntes Gesicht und gelegentliche Gesellschaft eine willkommene Abwechslung.
Das wildromantische Tal ist ein Traum, der darauf folgende Marsch an der Straße entlang fällt in eine andere Kategorie.
Ich erreiche den Ort noch vor Mittag und somit früher als erwartet. Das kleine Dorf hat aufgrund seiner Lage an der Grenze gleich drei riesige Supermärkte. Das Sortiment ist speziell auf Besucher aus dem benachbarten Frankreich abgestimmt und nahezu identisch. 3 Kilogramm Packungen Haribo und Unmengen Whiskey. Ich kaufe erstmal nur eine kalte Cola und eine Tafel Schokolade um den Heißhunger zu stillen. Reimar kommt erst später, so gehe ich im Restaurant etwas essen. Die Qualität der Mahlzeit ist ebenso wie die Lage des Lokals unmittelbar an der Tankstelle: Verbesserungswürdig.
Im gegenüberliegenden Supermarkt komme ich mit einem älteren Paar Franzosen ins Gespräch, welche ebenso wie ich ihren Rucksack an den Kassen stehen lassen haben. Die Beiden laufen den HRP in entgegen gesetzter Richtung von mir. Somit hab ich heute – an Tag 11 – meine erste Begegnung mit anderen Haute Route Wanderern. Vor dem Supermarkt machen wir es uns gemütlich und tauschen uns aus. Aus dem Lautsprecher hallt Musik über den ganzen Parkplatz. Auch Reimar stößt bald hinzu. Eilig hat es niemand.
Die Franzosen wohnen unweit von Banyuls-sur-Mer (dem süd-östlichen Startpunkt des HRP) und laufen diesen bereits zum zweiten Mal. Den Pass Litérole, die Schlüsselstelle der Route, haben sie diesmal umgangen erzählen die Beiden. Wie ich in Berichten vorab wiederholt lesen musste, soll dieser heuer noch reichlich mit Schnee bedeckt sein. Ich habe jedoch nur Laufschuhe an und weder Steigeisen noch Eisaxt dabei.
Bald stoßen zwei Weggefährten der Franzosen hinzu und geben grünes Licht: Sie haben den Pass mitgenommen und sind zuversichtlich, dass auch ich diesen bewältige. Ein Blick auf deren Trailrunner beruhigt mich.
Zwei Bier später machen Reimar und ich uns mit einer zerbeulten PET Flasche voll Wein auf den Weiterweg. Steil geht es das Tal hinauf und uns Beiden fehlt der Schwung. Vor einer kleinen Cabane machen wir Rast, trinken etwas vom Wein und dezimieren unseren Proviant.
Reimars Motivation weiter zu gehen hält sich in Grenzen, doch schlussendlich kann ich mich durchsetzen und wir brechen doch noch auf um den Sattel zu erklimmen. Vor der kleinen Schutzhütte baue ich mein Zelt auf, während er es sich auf der Terrasse gemütlich macht . Noch eine Weile sitzen wir draußen, genießen die Aussicht und beobachten das Gewitter in der Ferne. Nur vom Wein haben wir leider nicht mehr all zu viel übrig.
Auf dem Weg gen Tal begegnen uns am nächsten Morgen immer wieder Wanderer.
Die Pause am Campingplatz Forcallo nutze ich zum Trocknen von Zelt und Schlafsack, derweil gibt es Kaffee. Einen frisch gebrühten mit echter Milch. Das Bocadilla hingegen ist sehr lieblos zubereitet. Ein riesen Stück Baguette auf dem ein paar riesige Scheiben Chorizo liegen. Reimars wird von einer etwas verloren wirkenden Bratwurst garniert. Einfach so.
Das sonnige Wetter hält noch eine Weile an und gegen Mittag trennt sich nicht nur der Fluss dem wir folgen, sondern auch wieder unsere Wege.
Das letzte Stück hinauf zum Pass Port Aygues-Tortes (2687m) ist nicht nur steil sondern auch geröllig und eine ziemliche Tortur. Oben auf der Anhöhe öffnet sich der Blick auf das Tal vor mir und der Himmel gibt mir Gewissheit, dass es das erstmal war mit dem schönen Wetter. Mit jeder tiefgrauen Wolke die am Himmel aufzieht werde ich einen Schritt schneller.
Runter ins Tal geht es ebenso steil wie zuvor hinauf. Kurze Pause mit einer handvoll Erdnüssen an einer kleinen Cabane am Talboden. Im Refuge Prat-Cazeneuve liegt bereits wer und pennt.
Das Wetter zieht weiter zu – doch was soll’s. Weitere anderthalb Stunden um den Berg herum sind es bis zur nächsten Hütte und ich hab mir noch ein wenig was vorgenommen. Also geht es weiter. Kaum auf dem Weg am Hang oberhalb des Tales, da knallt es auch schon. Ich könnt schwören, dass ich den Blitz, als ich erschrocken herum fahre, noch auf der anderen Seite des Tales niedergehen sehe. Weit weg war das auf jeden Fall nicht.
Schön blöd.
Mit anhaltendem Gewitter und beginnendem Regen geht es weiter am kahlen Berghang entlang zum Stausee. Die Cabane dort ist nur ein dunkler Verschlag, die Wirtschaftsgebäude des Stausees Ruinen sofern sie denn offen sind. Doch das Wetter beruhigt sich derweil schon wieder und der Himmel reisst auf.
Somit steige ich weiter auf zum etwas höher liegenden Lac des Isclot. Dieser See liegt unterhalb des Gourgs Blancs Gletschers und wird mir in der Literatur als Biwakstelle empfohlen. Im Aufstieg begegnet mir ein junges Pärchen mit Hund, sie steigen ab, denn oben am See hat es gehagelt. Die Lage des Gewässers sei aber malerisch wie man mir versichert.
Am See kann ich dann noch drei weitere Zelte ausmachen. Mit ein wenig Diskretionsabstand baue ich mein Zelt auf einer kleinen Anhöhe auf. Das Wetter ist stabil, doch der See so kalt, dass ich mich nicht zu viel mehr als einer Katzenwäsche durchringen kann.
Am nächsten Tag stehen mir die zwei schwierigsten Passquerungen auf der HRP bevor. Wie ich aus den sozialen Netzwerken immer wieder entnehmen musste, sind diese auch um diese Jahreszeit noch mit reichlich Schnee bedeckt. Mein Reiseführer rät zu Eisaxt und Steigeisen, was ich natürlich beides nicht mit mir führe.
Der Aufstieg zum Gourgs Blancs Pass (2877m) über dessen Gletscher läuft am Morgen relativ harmlos ab. Das flache Gefälle stellt keinerlei Problem dar.
Am Pass öffnet sich der Blick auf die weiß bedeckte Gebirgswelt. Obwohl nur wenig höher als die Berge der letzten Tage ist hier allerorts noch eine Menge Altschnee.
Die Gruppe welche mir entgegen kommt nimmer dankt Steigeisen die direkte Route über das hartgefrorene Firnfeld. Für den steilen Abstieg wähle ich indes ein seitlich gelegenes, schneefreies Schuttfeld. Vorsichtig steige ich über das lose und wacklige Geröll hinab, quere hinüber auf ein anderes Schuttfeld um dann auf der gegenüberliegenden Seite wieder steil durch Schnee nach oben zu steigen..
Das Feld dürfte kaum steiler sein, die Haftung meiner Schuhe stößt an seine Grenzen. Auch ist die Schneedecke zu hart um Tritte zu formen. Über den Col de Pluviometre und dem Gipfel des Tusse de Montarque (2889m) steige ich durch Geröll in Richtung des Refuge ab. Unter mir im Tal liegt ein passenderweise Lac Glacé getaufter See.
Am Refuge du Portillion auf 2570m nutze ich die ersten Sonnenstrahlen für eine Pause auf der Terrasse. Der Kaffee ist nicht schlecht, die folgende Cola spendet Energie. Laut Hüttenwirt habe ich Glück, denn der Col inférieur de Litérole, Schlüsselstelle meiner Route, hat frisch geschlagene Stufen.
Tatsächlich hat jemand Tritte in das lang ausgedehnte Schneefeld gegraben. Das Gelände hinter dem Pass fällt auf den ersten Metern steil ab und läuft unten im Tal in einen See hinein. Etwas rechts von mir würde sich ein Schuttband gen Tal ziehen, doch dorthin rüber zu queren erscheint mir bei dem schmierigen Schnee ein wenig zu heikel. Der gespurte Abstieg vom Pass ist jedoch machbar. Langsam gehe ich Schritt für Schritt hinunter bis das Gefälle nachlässt. Auch mit den Stufen möchte ich im abschüssigen und sulzigen Schnee nicht ausrutschen. Die Rutschpartie kann nicht gut ausgehen.
Wäre der Pfad nicht so gut vorbereitet gewesen, hätte das ein echtes Abenteuer werden können.
Nachdem das schneebedeckte Tal gequert ist, stoße ich bald wieder auf felsigere Bereiche. Diesen folgt ein langer, ausgedehnter und steiler Abstieg über mehrere hundert Höhenmeter durch lose und weglose Blockfelder. Dagegen war der Pass zuvor ein Kinderspiel. Ohne mir die Knochen zu brechen erreiche ich ziemlich genervt den Talboden.
Auf schönen Pfad geht es aus dem Seitental heraus, bis ich an die Straße stoße. Die Stichstraße ist nicht stark befahren, doch gleich das erste Auto nimmt mich mit. Der Franzose bringt mich nach Benasque, einem Ort der etwas abseits meiner Route liegt. Erstaunlich lange dauert die Fahrt, den Plan heute wieder die Straße hoch auf den Trail zu fahren oder gar zu wandern verwerfe ich alsbald. Mein Fahrer erzählt mir, dass sein Vater früher jeden Tag diesen Weg mit seinen Maultieren gegangen wäre um von der Alm in den Ort zu kommen, oft auch mehrfach täglich.
In Benasque gehe ich erstmal in das – laut seiner Aussage – beste Sportgeschäft Spaniens um neue Schuhe zu kaufen. Meine haben bereits bedenklich wenig Profil. Draußen unter freiem Himmel nimmt man es kaum merklich wahr, doch hier im geschlossenen Raum verbreiten meine Schuhe, Socken und auch Füße einen ziemlich unangenehmen Geruch. Eine vorherige Dusche wäre angebracht aber leider nicht möglich gewesen. So verstaue ich die getragenen Sachen in einer Plastiktüte und hülle meine schwarzen Füße schnell in frische Socken. Meine Wahl fälle ich dann wie des Öfteren: ich nehme jenes Paar Schuhe, welches im Ausverkauf ist. Brooks Cascadia in Rot.
Anschließend kaufe ich noch Lebensmittel ein und checke in die billigste Unterkunft der Stadt ein. Zumindest hat mein Hotelzimmer eine Badewanne und statt den Abend im Restaurant ausklingen zu lassen, vertilge ich auf dem Zimmer einen Großteil meines Einkaufs, denn wie ich schon bald feststellen muss, ist dieser dank meines leeren Magens viel zu üppig ausgefallen.
Zufrieden, im Glauben das Gröbste gemeistert zu haben, gehe ich zu Bett.
Bert
10. Januar 2019 — 15:28
Hihi, toller Bericht. Und die Bilder sind wirklich großartig, machen Lust aufs losstiefeln. Und das mit den “müffeln” musste ich in Schottland auch feststellen. Ich stand im McDonalds und dachte nur, puhhh, frisch ist was anders. Gegessen habe ich dann draußen 🙂
Maximilian
11. Januar 2019 — 11:31
Ganz schlimm ist auch trampen 😉