Huskyfarm Innset
Es ist erst früher Nachmittag, die Sonne steht noch hoch am Himmel. Auf dem Altevatnet bei Innset spiegelt sich der blaue Himmel. Eigentlich perfektes Wetter, um im skandinavischen Fjäll zu wandern, doch für mich reicht es heute. Die Lethargie der letzten Wochen, die schlechte Vorbereitung auf die Tour, rächt sich. Nach wie vor macht mir mein Fuß Probleme. Auch treibt mich die Neugierde um. Beim Studieren von Reiseberichten und Literatur, zum Thema Trekking in Norwegen, stößt man unweigerlich auf die Huskyfarm die Björn Klauer hier oben betreibt. Auf dem Hof ist noch ein Bett für mich frei und auch ist es kein Problem mich von der Altevasshytta abzuholen, erfahre ich bei einem kurzen Telefonat. Der Gedanke an ein Shuttle ist mir vor dem Hintergrund meiner Wanderung zwar ein wenig suspekt, doch eine weitere Stunde über die Straße zu der Farm abzusteigen ist für mich nichtmehr im Rahmen.
Anfang der achtziger Jahre durchquerte der Hamburger Björn Klauer Norwegen der Länge nach bis zur sowjetischen Grenze. In den Wintermonaten begleitet ihn dabei ein Husky. Dem einjährigen Abenteuer folgte als Konsequenz die Auswanderung in den hohen Norden. Inzwischen betreibt der Norddeutsche, hier in Innset rund 1800 Kilometer Luftlinie entfernt von seiner alten Heimat, eine Huskyfarm und bietet für seine Gäste geführte Touren mit seinen rund 80 Schlittenhunden an.
Auf dem Hof am Rande von Innset angekommen zeigt mir Björn mein Zimmer. Den Raum mit zwei Stockbetten werde ich für mich behalten, andere Gäste erwartet er heute nicht mehr. Ich nehme eine Dusche und packe erstmals seit Beginn meiner Wanderung, im dreihundert Kilometer entfernten Kautokeino, meine Habseligkeiten in die Waschmaschine. Die wärmenden Sonnenstrahlen des Nachmittags genieße ich draußen auf dem Hof. Ich sitze gegenüber von den Zwingern und schaue dem Treiben zu. Gegen Abend steigt die Lautstärke an, denn die Fütterung steht bevor. Zuerst aber toben die Welpen über den Hof – eine Geduldsprobe für die hungrige Meute. Anschließend bekommt jeder der Hunde schwungvoll eine Portion Futter in seine Eisenpfanne, woraufhin sofort wieder Ruhe einkehrt. Björn und Regina, sowie die drei Helfer die derzeit auf dem Hof sind, verbringen noch einige Zeit bei den Hunden. Ein paar Worte und Streicheleinheiten gehören zum Abendprogramm.
Im Gästehaus, in welchem ich mein Zimmer bezogen habe, sind auch die drei anderen untergebracht. Erik ist bereits seit Ostern hier auf der Farm, Matthias erst seit kurzem speziell für das Herbsttraining. Die Hunde müssen nach der Sommerzeit auf die Saison vorbereitet werden. 500 bis 600 Kilometer haben sie bis zum Dezember zu absolvieren, bevor die Gäste kommen und die Tourensaison beginnt. Diesen Job übernehmen jährlich zwei Hundetrainer, meist junge Menschen, welche die vier Monate gegen Kost und Logis hier arbeiten.
Felix ist Schreiner und hilft hier bei einem Neubau aus. Über ihn und Erik erfahre ich nicht viel, denn Matthias hat viel von sich zu erzählen und macht dies auch gerne. Was ich im “echten Leben” machen würde, fragt er mich und ob ich damit glücklich wäre. Er selbst ist gelernter Industriemechatroniker, hat seinen Techniker gemacht. Doch dieses Leben hat er hinter sich gelassen, versuchte als Jongleur in Australien zu leben, lebte ohne Geld und Obdach. Wie der Rest, ist auch er nicht zum ersten Mal hier auf der Farm. Für den nächsten Morgen lädt er mich ein bei einer Trainingsrunde mit zu fahren.
Nachdem die drei Jungs mir von den Kochkünsten Reginas vorgeschwärmt haben, geht es ins Bett. Für mich gab es heute rote Linsen, reichlich gewürzt und erstmals auf meiner Reise gar. Auch nicht schlecht.
Innset – Lappjordhytta 23km
Nach der Fahrt auf dem Trainingswagen bringt mich Björn wieder zurück auf den Trail. Im Wagen erzählt er bereitwillig noch ein wenig von seinem Leben hier oben. Einen rundum zufriedenen und ausgeglichenen Eindruck macht er mir. Das Geschäft läuft gut, das Leben hier draußen mit den Hunden gefällt ihm sehr. Allmählich sucht er jedoch einen Nachfolger, der die Farm einmal übernehmen möchte. Er könne diese ja nicht, wie einen Kiosk, einfach zusperren sagt er.
Der kurze Aufenthalt in Innset hat mir für die nächsten Kilometer viel Stoff zum Nachdenken gegeben. Ich steige vom Altevatnet durch das Tal des Salvvasjohka auf in die Berge. Auch heute hält der Sonnenschein an, doch der Wind geht kraftvoll.
Auf der Farm habe ich noch ein selbstgebackenes Brot und ein wenig Schinken kaufen können. Das Brot ist noch im Inneren gefroren, aber stellt eine sehr willkommene Abwechslung auf meinem Speiseplan dar. Hoch in den Bergen passiere ich eine verlassene Sami Siedlung und verweile dann auf dem Sattel für einige Minuten. Neben mir rinnt das Wasser durch das Geröll, vor mir die schneebedeckten Gipfel und ein Wasserfall. Friedlich ist es hier.
Oberhalb der Lappjordhytta fällt der Blick auf die gegenüber liegende Gebirgskette. Saumässig kalt und windig ist es hier oben, die Sicht aber überwältigend. Steil geht es von hier runter zum Torneträsk. Lange ringe ich mit mir, denn hier zu zelten und morgens aufzuwachen müsste der Wahnsinn sein.
Mein Weg führt mich an diesem Abend aber in die warme und gemütliche Lappjordhytta.
Lappjordhytta – Björkliden 17km
Durch eine schöne, mit Birken bewachsenen, Landschaft geht es im stetigen Auf und Ab am Seeufer des Toneträsk entlang Richtung Abisko. An der schwedischen Palnostugan lese ich, dass Florence bereits vor zwei Tagen hier durch kam. Ziemlich zügig unterwegs ist sie, denk ich mir.
Sobald man auf die E10 trifft, folgt der Nordkalottleden dem Rallarvegen. Der Weg diente ursprünglich dem Bau der Bahnstrecke der Ofotbanen und wird heute als Wanderweg genutzt. Der breit ausgebaute und leicht zu gehende Weg lässt mich gedanklich abschweifen.
Viel denk ich über die Worte von Matthias nach. Ob ich glücklich wäre, fragte er mich. Zufrieden habe ich geantwortet. Doch was ist mit ihm? Sein Versuch außerhalb des Systems zu leben, oder zumindest die Illusion davon, ist es das, was ihn glücklich macht? Im Kaufhaus für Geld zu jonglieren, aus Mülltonnen zu essen und in Hauseingängen zu schlafen? Der Versuch sich von gesellschaftlichen Normen zu befreien, aber zeitgleich sich in eine starke Abhängigkeit von eben diesem Gesellschaftssystem zu begeben? Frei und unbestimmt erscheint mir dieses Lebenskonzept nicht.
In Björkliden erkundige ich mich nach der Zugverbindung ins nahegelegene Abisko. Die norwegische Rentnergruppe am Bahnsteig kann mir diesbezüglich zwar nicht weiterhelfen, bietet mir jedoch an mich die letzten Kilometer bis nach Abisko mit dem Auto zu fahren. Mein Fahrer erzählt mir, dass gestern einer aus der Wandergruppe gestürzt wäre und sich das Bein brach. Nur dank eines mitgeführten Notfallsenders konnten sie den Helikopter rufen. Man muss also nicht mal alleine unterwegs sein, um in eine missliche Lage zu geraten.